Montag, 13. Februar 2006

Was war ich, bevor ich ich war?

zackarina-I


Was war ich, bevor ich Studentin war und unsägliche weblogs bearbeitete? Und was war ich, bevor ich Mutter wurde und meine Zeit mit Jogurtschnuten, verklebten Küchenfußböden und Playmobilfiguren in meinem Bett verbrachte? Auf jden Fall um eine wichtige Bekanntschaft ärmer - denn ich kannte Zackarina noch nicht, und von ihr handelt mein letzter Beitrag in diesem Forum, für dieses Semester und wohl auch auf absehbare Zeit.
Denn eines weiß ich sicher, vor allem als studierende und extrem eingespannte Mutter: Meine Form von Kontakt und Austausch ist dieses hier nicht...
Aber ich hab's versucht und auch immer wieder gerne die weblogs derjenigen besucht, mit denen ich gerne einen Kaffee trinken gehen würde, wenn ich denn etwasmehr Zeit hätte...

Heute also zum Abschluss noch eine philosophisch-pädagogische Episode mit Zackarina - ich wünsche allen einen schönen Frühling mit entspannten Fahrradtouren bei Wind & Wetter!
Wie schon beim letzten Mal stammt mein Text zu Zackarina aus dem Buch
Zackarina und der Sandwolf von Asa Lind

Fahrradfahren mit Zackarina oder

Das Fahrradurlaubsfoto

Zackarina hatte mit Wasserfarben ein Bild gemalt. Es hatte keinen Namen, aber es war groß und schön und leuchtete mit gelben und roten Punkten und Klecksen und nun wollte sie es an die Wand hängen.
„Ich brauche Klebeband“, sagte sie zu ihrem Papa, „viel Klebeband“.
Sie hielt das Papier hoch und zeigte ihm das Bild. Papa sah ein wenig nachdenklich aus.
„Na ja, es wird langsam etwas eng hier an den Wänden“, sagte er. „Du malst sehr viele Bilder.“
„Dann müssen wir wohl eins abhängen“, meinte Zackarine. „Das hier zum Beispiel.“
Sie zeigte auf eine Fotografie mit rotem Rahmen. Auf dem Foto waren Mama und Papa zu sehen. Sie schauten aus einem Zelt heraus und lachten, obwohl es regnete und sie völlig durchnässt waren.
„Sollen wir das abhängen?, fragte Papa.“ Das Fahrradurlaubsfoto?“
„Ja, genau das“, sagte Zackarina. „Als ihr durch die Gegend geradelt seid und so viel Spaß hattet und ihr im Zelt geschlafen habt und ich nicht mit durfte.“
„Ja, aber – das war doch, bevor es dich gab“, sagte Papa.
„Bevor es mich gab?“ Zackarina schaute genau auf die Fotografie. Ein Zelt und zwei Fahrräder. Wald und Himmel und Regen. Zwei, die glücklich waren, aber keine Zackarina, weil es die nicht gab.
Mich gab es nirgends, dachte sie und fühlte sich sonderbar einsam. Aber dann fiel ihr etwas ein und sie lachte,
„Stimmt nicht! Ein bisschen gab’s mich schon“, sagte sie. „Ich war doch in Mamas Bauch, hast du das vergessen?“
„Nein, der Fahrradurlaub war vorher“, sagte Papa, „viele Jahre, bevor du in Mamas Bauch warst.“
„Aber wo war ich denn dann?“, fragte Zackarina. „Bevor ich im Bauch war?“
Papa kratzte sich am Kinn und murmelte etwas von sehr schwierigen Fragen. Dann schaute er auf die Uhr und rief:“ Oh, jetzt kommen Nachrichten im Radio!“, und verschwand im Arbeitszimmer.
Zackarina knüllte ihre Zeichnung zusammen und stopfte sie in den Papierkorb, weil es für sie ja sowieso nirgendwo Platz gab. Sie zog die Gummistiefel an und ging aus dem Haus und hinunter zum Strand.
Draußen war es grau. Graue Wolken und graues Meer und ein grau pfeifender Wind. Aber mitten im Grau, ein Stückchen weit draußen im Meer, schimmerte und schaukelte ein sonnengelber Punkt. Das war der Sandwolf, der badete.
Als er Zackarina entdeckte, glitt er auf den Strand und schüttelte sich das Wasser aus dem Glitzerpelz.
„Strahlendes Badewetter heute“, sagte er. „Ich bin stundenlang herumgeschwommen“.
„Stundenlang?“, fragte Zackarina. „Frierst du nicht?“
„Ich friere nie“, sagte der Sandwolf. „Aber wenn ich ein bisschen friere, um die Nase herum oder so, dann denke ich einfach an damals.“
„An wann damals?“, fragte Zackarina.
„Damals, als ich Glut war“; sagte der Sandwolf. „Da war es ganz schön heiß“.
„Glut?“, fragte Zackarina. „Warst du Glut? Wie im Feuer?“
„Genau“, sagte der Sandwolf. „Eine glühende Glut, glutheiß und rot, eingeschlossen im Herzen der Erde – so war ich.“
Zackarina legte die Hand auf seinen goldenen Pelz. Er war ziemlich warm.
„Dann wurde ich ein Vulkan“, fuhr der Sandwolf fort. „Ich sprengte mich aus der innersten Tiefe heraus – tschuuuuu! Wild und schön, hoch in die Luft, wie ein Feuerwerk.“
„Und dann?“, fragte Zackarina.
„Wurde ich ein Stein“, sagte der Sandwolf. „Genauer gesagt, ein Stück Granit.“
„Das muss langweilig sein, wenn man ein Stein ist“, sagte Zackarina.
„Nein, das ist richtig lustig“, sagte der Sandwolf.“ Man reist viel“.
Und dann erzählte er von den Reisen der Steine, von der Bergspitze oben direkt hinunter ins Tal, vom Südpol zum Nordpol und zurück und rund um die Erde und noch einmal herum.
„Das Leben als Stein war ganz schön verwirrend“, sagte der Sandwolf.
„Aber wie bist du dann ein Sandwolf geworden?“, fragte Zackarina.
„Ich spielte“, sagte er. „Ich spielte mit dem Wind und spielte mit dem Wasser und spielte und spielte Millionen Jahre lang, bis Damals Jetzt wurde und ich ich wurde – der wunderbarste Schwimmer der Welt!“
Er machte einen Satz und warf sich wieder hinaus in die Wogen. Platsch!
„Warte doch!“, rief Zackarina. “Was ist mit mir? Was war ich, bevor ich ich wurde?“
„Das wirst du wohl selbst wissen!“, rief der Sandwolf zurück. „Das ist doch deine Geschichte!“
Er tauchte in die Wogen und war weg. Zackarina ging nach Hause. Die grauen Wolken hingen schwer am Himmel. Ein Regentropfen fiel und dann noch einer und noch einer.
Sie überlegte und versuchte sich zu erinnern. War sie auch eine rote Glut gewesen wie der Sandwolf?
Vielleicht war ich nichts, dachte sie. Aber nein, so konnte es wohl doch nicht sein. Es kam ihr so komisch und lächerlich vor, zuerst gar nicht da zu sein und dann plötzlich in Mamas Bauch zu liegen und herauszuplumpsen und ein Baby zu werden.
Ein Vulkan? Ein Stein?
Nein, ich nicht, dachte Zackarina. Ein Stein war ich nicht.
Auf der Treppe streifte sie die Gummistiefel ab und ging in die Küche. Dort stand Papa mitten im Raum und sah irgendwie verschmitzt aus.
„Ich habe dein Bild aufgehängt“, sagte er. „Hier in der Küche.“
Zackarina suchte und schaute auf alle vier Wände, sogar im Kühlschrank sah sie nach, aber sie konnte das blaue Bild nicht finden.
„Aber wo denn? Wo ist es?“ fragte sie.
Papa sah noch verschmitzter aus und sah nach oben.
„Dort“, sagte er, “an der Decke.“
Und da war es. Ein bisschen zerknittert natürlich, aber leuchtend blau mit gelben und roten Punkten und Klecksen.
„Deckengemälde“, sagte Papa. „Eine gute Idee, was? An der Decke ist noch Platz für jede Menge Bilder!“
Zackarina ging langsam in der Küche auf und ab und betrachtete ihr blaues Bild.
Ich war der Wind, dachte sie. Der Wind im Himmel, der den Rgen heranblies, und der Regen fiel und fiel hundert Tage lang, so dass alle im Land nass und ärgerlich wurden. Nur einige im Zelt wurden glücklich im Regen, und seither gehöre ich zu Mama und Mama zu mir und Papa zu uns.
„Und jetzt ist jetzt und ich bin ich“, sagte Zackarina.
„Was?“, fragte Papa.
„Das Fahrradurlaubsfoto“, sagte Zackarina.
„Ich mag es“, sagte Papa.
„Ich auch“, sagte Zackarina.
Und im Meer schaukelte der gelbe Wolf auf den Wogen, trieb auf dem Rücken im Regen und schaute zu den grauen Wolken hinauf. Die Tropfen fielen, und der Sandwolf zählte sie alle, einen nach dem anderen, ohne einen einzigen zu vergessen.



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